Wenn du dich für einen Tierschutzhund entschieden hast und dieser nun bei dir einzieht, ist das Wichtigste, was dein Hund von dir nun benötigt, Sicherheit. Ohne Sicherheit ist es deinem Hund nicht möglich zur Ruhe zu kommen, sich an sein neues Umfeld anzupassen, neue Lernerfahrungen zu machen und seine wahre Persönlichkeit zu zeigen. Es bedarf neben Zeit, Geduld und Liebe noch weitere Unterstützung, die dein Hund benötigt, um richtig anzukommen.
Sicherheit geben: Das braucht dein Tierschutzhund
- Körperliches Gleichgewicht herstellen
Die drei körperlichen Systeme (Nervensystem, Hormonhaushalt und Gehirn), welche für das sichtbare Verhalten verantwortlich sind, laufen auf voller Anspannung statt auf Entspannung. Die meisten Tierschutzhunde sind ängstlich, schreckhaft, erstarrt oder sehr unruhig. Das ist nur verständlich, denn dein Hund wird in kürzester Zeit aus seinem alten Leben „gerissen“ und in ein neues verfrachtet. Alles ist nicht mehr wie es war: Das Klima, die Geräusche, die Menschen, das Futter, die anderen Lebewesen etc. Das ist ganz schön viel und der Körper reagiert entsprechend mit Aktivität, um sich anzupassen und zu überleben. Daher ist es sehr wichtig diese drei Systeme wieder zu beruhigen, damit dein Hund von der Anspannung wieder in die Entspannung kommt. Kann dein Hund entspannen, so kann er gut schlafen und wer gut schläft, kann Erlebnisse verarbeiten und sich mit gestärkten Nerven mit neuen Umweltreizen auseinandersetzen und entsprechende Lernerfahrungen machen. (Teste hier, ob dein Hund ein körperliches Ungleichgewicht hat.) - Fütterung beachten
Daher ist es sehr sinnvoll auf eine Tryptophan haltige und zugleich Tyrosin arme Fütterung zu achten. Beides sind Aminosäuren, die das Verhalten positiv und auch negativ begünstigen. Tryptophan ist für die Produktion des Wohlfühlhormons Serotonin und dem Schlafhormon Melatonin zuständig. Tyrosin hingegen ist für die Produktion von Stresshormonen wie Adrenalin und Noradrenalin zuständig. Letzteres passt nicht zur Entspannung und fördert bei Fütterung die Anspannung und Aktivität des Nervensystems. - Sicherheit durch Führung
Umso unsicherer dein Hund ist, umso mehr Führung benötigt er. Aber was genau ist Führung? Führung bedeutet, dass du die Verantwortung übernimmst, Entscheidungen für dich UND deinen Hund zu treffen, und zwar dann, bevor die Situation unangenehm oder sogar gefährlich wird. Du als Führungskraft hast alles und alle im Blick und sorgst für Sicherheit. Doch bevor du in anspruchsvollen Situationen Führung übernehmen kannst, solltest du dich erstmal in unwichtigen Situationen bei deinem Hund beweisen. Schaffst du es bereits hier deinem Hund zu erklären, wie und wo Grenzen sind, so hast du dir schon einen Vertrauensvorschuss erarbeitet, den du in anspruchsvollen Situationen unter Beweis stellen kannst. Solche Situationen könnten sein: „Auf den Platz“ bedeutet auf den Platz und nicht daneben, warten und sich zurücknehmen, wenn du z.B. das Futter auf den Boden stellst oder einfach, dass du mal entscheidest, wann gestreichelt wird und wann das Streicheln vorbei ist. Es geht darum, im Alltag Entscheidungen zu treffen, egal wie unwichtig sie zunächst erscheinen. - Rückzugsorte
Wie du schon erahnen kannst, sollten diese Plätze etwas abseitsstehen und nicht betreten werden. Sollte dein Hund sich hier zurückziehen, so wird er hier nicht angefasst und auch nicht angeschaut! Dein Hund hat ein Recht auf ein Plätzchen nur für sich allein und dies sollte von allen Familienmitgliedern (auch anderen Hunden) berücksichtigt werden. Bitte denk daran, dass selbst ein Blick eine Erwartungshaltung bei deinem Hund erzeugt. Das ist bei uns Menschen genauso und nicht immer angenehm, vor allem, wenn man seine Ruhe haben möchte. Benötigt dein Hund eine Höhle, so stell ihm diese zur Verfügung. Auch wenn er diesen Platz einige Tage bevorzugt und nicht herauskommt, lass ihn erstmal und gib ihm etwas Zeit. Damit du ihn dennoch zum Lösen nach draußen bringen kannst, kannst du eine lange dünne Leine an sein Geschirr befestigen und diese nutzen. So verhinderst du das übergriffige Reingreifen und Rauszerren aus seiner Höhle. - Hausleine als Hilfsmittel nutzen
Eine Hausleine bei einem ängstlichen/unsicheren Hund? Ja! Eine Hausleine hat sehr viele Vorteile: Du kannst mit dieser, wie oben bereits beschrieben, deinen Hund freundlich und bestimmend aus seiner Höhle führen ohne körperlich zu werden, damit er sich draußen lösen kann. Zudem verhindert eine Leine die Flucht vor dir oder vor anderen Reizen. Bitte beachte: Jede Flucht, auch die Flucht vor dir, ist extrem selbstbelohnend und wird daher immer und immer wieder gezeigt. Das bedeutet nicht, dass du deinen Hund mit der Leine zwingen sollst, neben dir zu sitzen, bis er sich an dich gewöhnt hat. Sie dient erstmal dazu, Flucht zu vermeiden. Später kann die Leine ein wertvolles Werkzeug sein, um deinem Hund zu helfen, neue positive Lernerfahrungen zu machen ohne in sein altes Muster „Flucht“ zu verfallen. Dafür muss dein Hund jedoch bereit sein und die Umstände entsprechend passen. - Allgemeine Flucht vermeiden
Wie bereits beschrieben, ist die Flucht extrem selbstbelohnend, auch wenn diese Flucht nur aus 2 Rückschritten besteht. Viele Tierschutzhunde sind nicht nur unsicher und ängstlich, sondern auch sehr neugierig. Diese tolle Eigenschaft sollte von dir unbedingt gefördert werden, indem du darauf achtest, dass dein Hund nach dieser Neugierde nicht flüchtet. Jede Flucht überschattet die zuvor gemachte positive Lernerfahrung. Nutze dafür einfach eine Leine um die Flucht zu verhindern oder gib deinem Hund eine konkrete Anweisung, bevor er flüchtet. Beispiel: Wenn dein Tierschutzhund am Besuch schnüffelt, kannst du dies leise loben, doch bevor dein Hund den Rückschritt macht, gibst du ihm die Anweisung, das er was anderes machen soll, z.B. auf seine Decke schicken oder zu dir rufen. Diese Anweisung sollte immer dem biologischen Ziel deines Hundes gleichen, also in diesem Fall der Distanzvergrößerung zum Besuch. Umso genauer diese Anweisung ist und umso mehr sie die Distanzvergrößerung einschließt, umso mehr Führung und Sicherheit gibst du. Dein Hund denkt: „Wow, mein Mensch hat gesehen, dass ich mich langsam unwohl gefühlt habe und hat mir direkt eine konkrete und absolut sinnvolle/erleichternde Lösung angeboten“. Zugleich kann dein Hund die neue positive Lernerfahrung mit dem Besuch speichern. Die Flucht vor Besuch wird immer weniger gezeigt, da es keinen Grund mehr gibt. Achte im Alltag auf kleine Situationen, in denen dein Hund flüchten möchte. Verhindere diese, indem du Führung übernimmst. - Locken verboten, auch nicht mit Futter!
Warum du deinen Hund nicht mit Futter locken solltest und was du stattdessen tun kannst, habe ich in diesem Artikel bereits ausführlich beschrieben. - Klare Körpersprache
Umso klarer deine Körpersprache deinem Hund gegenüber ist, umso mehr kann dein Hund dich einschätzen und umso schneller fühlt er sich sicher, denn du bist für ihn vorhersehbar und genau das braucht dein Hund von dir. Wie bereits oben beschrieben ist es sehr wichtig, dass du deinen Blick unter Kontrolle hast, d.h. du schaust deinen Hund nur an, wenn du auch etwas von ihm möchtest. Möchtest du nichts von ihm, wird er auch nicht angeschaut, egal wie süß er ist oder wie traurig er gerade schaut. Gehst du nur an ihm vorbei und schaust ihn an, kann dein Hund dadurch sehr schnell verunsichert werden, denn dein Blick sagt „ich will etwas von dir“, wo hingegen dein restlicher Körper das Gegenteil kommuniziert „ich möchte nichts von dir“. Wenn du Kontakt zu ihm möchtest, dann schau ihn an. Du kannst ggf. beschwichtigende Signale mit einbauen wie Blinzeln, immer mal wieder wegschauen oder dir über die Lippen lecken. So signalisieren Hunde untereinander „ich habe Interesse, möchte aber keinen Streit“ und genau so nimmt es dein Hund auch bei dir wahr. Dabei achtest du noch auf deine Körperhaltung: Dein Kopf, deine Schultern und deine Laufrichtung sind bei Kontaktaufnahme auf deinen Hund ausgerichtet und wenn du keinen Kontakt möchtest, eben nicht. Auch hier kannst du eine beschwichtigende Geste einbauen, während du dich annäherst, indem du deinen Körper nicht frontal auf deinen Hund ausrichtest, sondern dich etwas seitlich annäherst. Annäherungen sollten allgemein langsam und falls nötig mit Ankündigung erfolgen, sodass dein Hund Zeit hat, sich darauf vorzubereiten. Bei einigen Hunden ist es ratsam mit dem Handrücken zu streicheln, statt mit der Handinnenfläche. Der Handrücken ist weitaus weniger bedrohlich, da dieser nicht zugreifen kann. Bei jeder Kontaktaufnahme gilt zudem: Nur so lange Kontakt aufnehmen und streicheln, wie es für deinen Hund in Ordnung ist. Hörst du vorher auf, so lernt dein Hund „Mein Mensch respektiert meine Grenzen und meine Meinung ist wertvoll.“ Hörst du erst auf, wenn dein Hund flüchtet, so lernt dein Hund zum einen, dass sein Bedürfnis irrelevant ist und zugleich, das Flucht sich immer mehr lohnt als die Kontaktaufnahme. - Kopfstreicheln nur von unten
Wenn du deinen Hund streichelst, achte darauf, dass du das von unten (Kinn) und nicht von oben (Kopf) tust. Das Kopfstreicheln erzeugt automatisch eine drückende Körperhaltung und die Körperhaltung beeinflusst das Selbstbewusstsein und die innere Haltung. Ist dein Hund unsicher, ängstlich oder zurückhaltend, ist dies sehr kontraproduktiv. Ist dein Hund gut bei dir angekommen und mag das Kopfstreicheln, so darfst du das gerne tun. - Demutsverhalten abgewöhnen
Vielleicht hast du bei deinem Tierschutzhund beobachtet, dass er sich bei Kontaktaufnahme (z.B. wenn du ihn streicheln möchtest), sofort auf die Seite oder auf den Rücken legt. Das ist kein schlechtes Verhalten, wirkt sich jedoch sehr auf das Selbstbewusstsein deines Hundes aus. Demutsverhalten wird unterschieden zwischen aktiv und passiver Demut und hat das Ziel der Verbindung. Tierschutzhunde zeigen i.d.R. eine aktive Demut. Dabei sind die Hunde bei der Kontaktaufnahme sehr freundlich. Sie schauen den Kontaktpartner an, wenn auch der Kopf etwas abgeneigt, die Rute wedelt und ist eher eingezogen bzw. gesenkt. Dabei suchen sie den Kontakt und legen sich schlussendlich auf den Rücken. Dies ist eine sehr freundliche Geste und soll Verbindung herstellen, doch wie beim Kopfstreicheln, hat dies einen „drückenden Touch“. Dein Hund kann sich auch freundlich nähern, ohne sich klein zu machen. Das fördert sein Selbstbewusstsein. Aber wie abgewöhnen? Streichel deinen Hund einfach so lange, wie er noch steht bzw. nicht auf dem Rücken liegt. Kurz bevor er sich auf den Rücken rollt, brichst du die Kontaktaufnahme ab. Dein Hund wird schnell lernen, dass dieses Verhalten nicht zum Ziel führt. Demnach wird er immer später auf den Rücken rollen und schlussendlich lernen, dass er einfach stehen/liegen bleiben kann. - Schleckmatte als Hilfsmittel nutzen
Die Schleckmatte oder ein Kong ist ein bewährtes Hilfsmittel, um deinem Hund zu helfen, sich zu entspannen. Wenn dein Hund etwas schleckt, wird eine bestimmte mechanische Abfolge getätigt: Maul auf, Zunge raus, Zunge rein, Maul zu. Dieser Mechanismus in Verbindung mit möglichen Lamellen, die die Zunge berühren (die auf der Schleckmatte) sorgen dafür, dass dein Hund sich entspannen kann. Gib deinem Hund 1x täglich (einfach so) eine mit Quark, Hüttenkäse oder Leberwurst gefüllte Schleckmatte. - Routinen gegen Sicherheit
Vor allem zu Beginn ist es sinnvoll Routinen einzuhalten, z.B. gleiche Fütterungszeit, gleiches Futter, gleiche Gassirunden, etc. Umso mehr sich dein Hund eingewöhnt hat, umso mehr darfst du dann den Fokus auf eure Beziehung richten, statt Routinen beizubehalten. Denn DU solltest Sicherheit geben und nicht die Routinen. - Weitere Infos:
• Hund ist nicht sozialisiert? Das ist oft ein Trugschluss. Hunde aus dem Ausland sind sozialisiert, eben nur auf andere Reize. Dein Hund braucht Zeit, Geduld und deine Sicherheit die neuen Reize kennenzulernen und diese entsprechend zu verarbeiten. Ein Deprivationssyndrom ist möglich, kommt jedoch extrem selten vor.
• Weniger ist mehr, d.h. erstmal ankommen lassen und die erste Woche(n) Besuch und Ausflüge vermeiden.
• Mehrere kurze Spaziergänge sind meist besser als ausgiebige
• Endgegner Mitleid: Wir alle wissen es, doch wir tun es. Ja, dein Hund hat vielleicht einiges erlebt und unsere Fantasie ist grenzenlos, wenn genaue Infos fehlen. Doch darfst du nicht vergessen: Das ist die Vergangenheit. Nun ist er bei dir, an dem besten Ort der Welt. Es geht ihm bei dir gut und Mitleid braucht er nicht.
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